Hans Herbst

„Daumen im Wind“


Ich bin direkt in den Rock’n Roll reingewachsen. Jazz war mir lieber, und trotzdem, es war eine Frechheit. Sie nannten ihn den deutschen Elvis Presley. Unfassbar. Auf allen Sendern quäkte er „Sugar Sugar Baby“ und hieß Peter Kraus, was man ihm auch ansah, und Freddy Quinn sülzte „Brennend heißer Wüstensand“, und das Radio war proppenvoll von ähnlichen Kalibern. Dazu die Bild-Zeitung und Adenauer, und die Sehnsucht nach fremden Ländern war grenzenlos. Mein Kumpel und ich rollten unsere Penntüten ein und machten uns auf die Socken, den Daumen Richtung Süden an den Autobahnen und Landstraßen, und in Italien hielten wir an und blickten hinter uns, aber da war kein deutscher Elvis und kein Trälleraugust, der den Seemann gab. Da waren schöne Menschen und Strände, der Himmel war blau und die Mädchen schmeckten ganz anders als bei uns und hatten dunkle Augen. Wir schliefen in den Parks oder am Strand oder in den Feldern und bekamen eine Ahnung von Freiheit und Selbstbestimmung. Und uns wuchsen Bärte, aber die mussten wieder runter am Schluss. Die Meister hätten uns erschlagen mit dem Gekräusel im Gesicht, auf Bärte stand in den Fünfzigern die Todesstrafe. Aber irgendwann war auch mit der Lehre Schluss, und dem Gesellenbrief nach war ich dann Autoschlosser, aber immerhin hatte ich gelernt, wie man mit einem Draht eine Autotür öffnet und die Karre kurzschließt und schnell mit ihr verschwindet. Zunächst verschwand ich aus dem Elternhaus. Die Sehnsucht nach den fremden Ländern war immer noch grenzenlos, und die gute alte „Palette“ in Hamburg, Kneipe und Kellerloch, wurde Heimat und Austragungsort für heftige Gelage, Spaß und Dummheiten und Widerstand gegen das Erwachsenwerden und den Muff der Zeit. Aber davon konnte man nicht leben. Es musste Geld für Bier her, und auf dem Bau fragten sie nicht nach Zeugnissen. Man wurde einfach Steineschlepper, Eisenflechter, Zementmixer und Kranfahrer, und die Kolonnenschieber waren beinharte Antreiber. Weil Akkord gearbeitet wurde, und Akkord ist Mord. Wie die Schichtenklopperei im Hafen, beweg dich, du Penner, wir haben Pensum, und überall brauchten sie einen, der seinen Kopf beim Pförtner abgab und halbwegs kräftige Hände hatte. Mein Kopf kam auch während meiner Kellnerkarriere nicht so richtig zum Einsatz. Die Getränke waren immer in greifbarer Nähe und das tat den Abrechnungen nicht gut. Die Karriere war somit von kurzer Dauer, aber ich hatte die Reisegroschen für Paris verdient.

„Ende einer Jugend“


Wir mussten alle nach Paris damals, da waren die Kunst und die Avantgarde, und wir waren auch Kunst und Avantgarde, und die mit den Pepitahüten und den Nyltesthemden nannten uns Gammler. Man hauste mit anderen Avantgardisten unter den Seinebrücken und in den Quais bei Notre Dame oder in verlausten Absteigen mit geifernden Conciergen und die Regel war, sich nicht gegenseitig die Baguettes und Rotweinflaschen zu klauen und nur Leute zu bestehlen, die sich das leisten konnten. Aber die Flics waren sehr wach zu der Zeit, und schnell und hart und bösartig, und der Richter hob nicht einmal den Blick, als er das Urteil sprach. Man bekam ein schlichtes Einzimmerapartment mit fließend Wasser, aber da wohnten schon fünf andere Herren, die auch schlecht rochen, und man schlief gestapelt an den Wänden. Der Lokus in der Ecke hatte keine Wände, überhaupt keine, aber das Essen wurde pünktlich und mit einer Blechkelle serviert, und natürlich war es französisches Essen, und so begann meine Ausbildung zum Gourmet. Der Abschied von Paris war ein Rausschmiss und das Ende eines Lebensabschnitts, den man Jugend nennt. Die war gestorben in dem großen alten Kasten und begraben unter dem Geruch von Angst und Schweiß und Scheiße, und der alte Kasten heißt immer noch „La Santé“ und ich habe mich nicht nach ihm umgedreht, als er mich raus ließ. Die alte Regel, dreh dich nicht um, sonst kommst du zurück.

„Die schwarzen Musiker nannten mich Brother“


Ich habe dann etwas zu lange in München gelebt. Wegen der Freunde und der Bar von Charles „The Champ“ Schumann. Am Anfang war’s ja ganz nett, Schwabing war noch nicht zur Abkochmeile verkommen, aber irgendwann sahen die Leute aus wie in Boutiquen hergestellt oder aus dem Musikantenstadl ausgebrochen. Und wieder blieben mir nur die Hände, um das Biergeld anzuschaffen. Ich habe Lampen geschleppt für Fassbinder, Michael Ballhaus, Norman Jewson und andere Koryphäen, und schönen Frauen wie Hannelore Elsner schönes Licht gemacht. Auch eine mit dunklen Augen, und die sind immer mein Glück und mein Elend gewesen. Mit der Musik ging’s voran in der Zeit. Die schwarzen GIs hatten ihre eigenen Clubs und da war ich zu Hause und durfte sie begleiten auf meinen Trommeln, und die schwarzen Musiker nannten mich Brother. Eine Auszeichnung, für die ich mir die Hände zerschlagen und reichlich geschwitzt habe. Die Damen mochten das, und immer war eine dabei, die ein Herz für einen schwer arbeitenden Conga-Drummer hatte. So habe ich die Süßeste aller Süßen kennen gelernt, die es lange mit mir ausgehalten hat, und nur selten war Zorn in ihren dunklen Augen, und weil es sie gab, habe ich nicht umsonst gelebt. Das Gott die Frau aus Adams Rippe hergestellt hat, ist Quatsch, eine Erfindung von irgendwelchen langbärtigen Mümmelgreisen. Er wollte, als Krönung seiner ganzen Schufterei, etwas wirklich Schönes in die Welt setzen und schuf natürlich die Frau. Und dann sah er, dass sie etwas zum Spielen brauchte, und schuf den Mann, was ihm nicht ganz so gut gelang, und genau das wollten die Mümmelgreise nicht zugeben und fälschten die Schöpfungsgeschichte. Und ich fälschte meine Bilanzen und machte Würstchengeschichte. Mit meiner Imbissbude nah am Englischen Garten. Eine Krakauer der Herr, und für die Dame Leberkässemmel, bitte schön, danke schön, Pfüat Ehana Gott. Nicht ganz einfach für einen Hamburger von St. Pauli. Aus der Nachbarschaft kamen die Hausmeister und Bauarbeiter wegen der günstigen Bierpreise, und von meiner Suppenköchin lernte ich, was Kaufmann ist. Kaufmann ist Laufmann. Das war mein BWL-Studium. Keine Frage, mein Stern war am Aufgehen, und die nächste Stufe zu Reichtum und Bauchansatz war eine Weinhandlung. Und da hockte dann der wunderbare Jörg Fauser mit seinen Kumpels in schweren Rauchwolken, noch eine Flasche Sancerre, Herr Herbst, und zum ersten Mal war ich Herr Herbst, im gehobenen Bürgertum angekommen, geachtetes Mitglied der Gesellschaft weil Herr über viele feine Flaschen, besseren Aufschnitt und sortierte Käseplatten. Hin und wieder hängte ich das Geschlossen-Schild an die Tür, weil bessere Damen zu Besuch kamen, und hinterher hängte ich es wieder ab. Bei der ganzen Angelegenheit half mir meine Zwergschulbildung.

„Immer unter der Sonne“


Ich ging als rustikal durch, was damals sehr beliebt war in gebildeten Kreisen. Aber nicht sehr lange, und als ich wieder aufwachte, hörte ich etwas von „fasten seat belts“ und war in Mexiko, und Schluss war mit Bürgertum und Bauchansatz. Aber das Land hat mir gut getan, besser als sortierte Käseplatten, viel besser. Und dann ging es weiter, immer unter der Sonne, endlos, und schließlich, nach vielen Irr- und Umwegen, war ich angekommen. In Brasilien. Mein Land, meine Welt, meine Leute, immer wieder, und wenn ich einmal nicht reisen konnte, war ich krank vor Heimweh und lange und solide betrunken. Aber ich konnte da nicht bleiben, es ging nicht. Wegen der Armut. Ich kam damit nicht klar, war nicht dickfellig genug. Wenn man sehr alte Menschen sieht, die demütig durch Restaurants schleichen und die Essensreste von den Tellern in Plastiktüten schütten, auch von meinem Teller, machen Samba und Sonne keine Freude mehr. Ich verschaffte mir Einblicke in das brasilianische Politsystem und stieß dabei auf eine Herrscherkaste, die sich gnadenlos die Taschen füllt und jeden aus dem Weg räumt, der seine Ansprüche auf ein Stück Brot anmeldet. Adeus, meu Brasil, Samba und die Strände, die Frauen und der Karneval. Blieb noch Kuba. Nicht wegen Castro und Guevara. Diktatoren mit Blut an den Händen waren nie meine Idole. Wegen der Musik, die mich begleitet, seid ich die erste Trommelnote gehört habe, und damals war sie noch intakt und nicht verdorben, man pflegte ihre Traditionen, und die Kubaner sind die besten Trommler der Welt. Darum fuhr ich immer wieder hin, natürlich auch wegen der großen, schwarzen Angelita, aber das ist eine andere Geschichte. Und lange her. Was trieb mich eigentlich nach Nordamerika? Ich weiß es nicht mehr genau, vermutlich war es immer noch die Sehnsucht nach fremden Ländern. Die bleibt einem wohl bis ganz zum Schluss. Die Tropen können einschläfern, New York macht wach, hellwach. Jazz rund um die Uhr, und es macht sogar Freude das Radio einzuschalten, ein Wunder. Sehr wenig geschlafen da, aber das lag auch an Claus „The House“ Eggers, der mit schönen Frauen nur so um sich warf. Das gehörte bei Fotografen zur Imagepflege. Und dann die Aufregung, als ich ihnen begegnen durfte, den Großmeistern. Mongo Santamaria, Patato Valdez, Jerry Gonzales, Tito Puente, Nicky Marero, die ich alle von ihren Platten kannte, und hinterher habe ich mächtig angegeben und den Jungs in München so ganz lässig und wie nebenbei erzählt, dass ich mit Mongo ein paar Drinks genommen habe. Das machte Eindruck. In Big Sur habe ich die Orangen des alten Hieronymus gesucht, aber die knorrigen Küstenbewohner hatten noch nie davon gehört.

„Wieder in Hamburg“


Die Schweiz hat mich auch einige Zeit ertragen. In Basel schätzte man solide Hanseaten, wie mein Kumpel und ich welche darstellten, denn wir waren fleißig und strebsam, sahen gut aus und machten keinen Schmutz. Aber es kam zu wenig dabei rüber. Die Fränkli stauten sich nicht in unseren Taschen, und wir warfen uns aufs Ölgeschäft. Das fand in einiger Entfernung statt, und wir mussten uns durchschlagen bis Sizilien und mit einer sehr alten Rostschaluppe rüber nach Libyen. In Tripolis haben wir dann die Bohrfirmen abgeklappert, aber die hatten keinen Bedarf an echt Hamburger Bohrern, nicht einmal an Hilfsbohrern. Die einheimischen Sklaven waren einfach billiger. Damals gab es den Gaddafi noch nicht, da gab es den König Idris, aber der konnte auch nichts für uns tun. Einen Job fanden wir trotzdem. Bei einer indischen Company. Für die reparierten wir Dieselmotoren. Das war auch sehr aufregend, aber mit dem Ölgeschäft nicht zu vergleichen. Jetzt bin ich wieder in Hamburg, wo ich auch nicht hingehöre, aber der Sohn kommt vorbei mit seiner Gitarre und wir spielen zusammen, der Enkel rappt mit Jazz-Feeling und schreibt Hip Hop-Texte, und gleich um die Ecke ist der schönste Biergarten im Viertel. Es gibt ein paar Bücher mit meinem Namen drauf, und das erste hat der sehr mutige Günther Ohnemus gemacht, was ich ihm nie vergessen werde. Was will ich mehr? Na ja, etwas fällt mir schon ein, meistens in zu langen Nächten, aber das lassen wir mal.